Meine Gesundheit, meine Behandlung
On Demand vs. Prophylaxe
Der Fußballvergleich macht den Unterschied dieser zwei Ansätze deutlich: Auf dem Fußballplatz wäre eine On-Demand-Strategie vergleichbar mit einem Torwart, der sich blitzartig in Bewegung setzt, wenn der Ball auf das Tor zugeschossen kommt – und so das Tor erfolgreich verhindert. Bei der prophylaktischen Spielführung hingegen würde eine starke Abwehrreihe vor dem eigenen Kasten aufgebaut, die dafür sorgt, dass der Ball erst gar nicht in den eigenen Strafraum und in bedrohliche Tornähe gelangen kann.
Beide Behandlungsansätze haben Vor- und Nachteile. Welcher Weg für Dich der beste ist, musst Du selbst herausfinden. Dabei bist Du aber nicht allein: Dein Arzt, Deine Eltern, Dein Hämophilie-Zentrum und vielleicht auch enge Freunde können Dich beraten und bei Deiner Entscheidung unterstützen.
Bei Bedarf oder vorbeugend: Vor- und Nachteile
Beginnen wir mit der On-Demand-Behandlung, bei der ein Faktorpräparat nur bei Bedarf zum Einsatz kommt. Das kann z. B. sein, wenn eine spontane Blutung auftritt oder eine medizinische Behandlung wie etwa ein Zahnarztbesuch ansteht, bei der es zu Blutungen kommen kann. Solange jedoch keine Blutung absehbar ist bzw. auftritt, ist auch keine Behandlung notwendig. Der Vorteil der On-Demand-Behandlung ist also eine gewisse Bequemlichkeit.
Doch es gibt auch bedeutende Nachteile. So kommt es bei Hämophilie häufig zu kleinen, unbemerkt ablaufenden Blutungen, z. B. in den Gelenken. Auch wenn diese kleinen Blutungen anfangs meist unauffällig sind – mit der Zeit schädigen sie die Gelenke und können zu einem ernsthaften Gesundheitsproblem werden. Die Zahl dieser Blutungen ist bei On-Demand-Anwendern deutlich höher als bei Patienten, die der Prophylaxe vertrauen.
Denn bei der Prophylaxe wird über eine konstante Faktor-Grundversorgung erreicht, dass viele innere Blutungen gar nicht erst entstehen. Dies belegen auch Studien und Statistiken. So wertete eine Gruppe britischer Wissenschaftler 19 verschiedene Studien aus und kam zu dem Ergebnis: Die Anzahl der Blutungen und der wiederkehrenden Einblutungen in die Gelenke (med. Hämarthrose) sowie die Zahl der Krankenhauseinweisungen sind bei Prophylaxe-Patienten niedriger verglichen mit On-Demand-Patienten.
In einer anderen Studie fanden Wissenschaftler heraus, dass die Prophylaxe auch die Zahl der Fehltage am Arbeitsplatz bzw. in der Schule verringert. Mit Prophylaxe betrug die Zahl der Fehltage im Schnitt 3,9 – ohne Prophylaxe jedoch 34,6 Fehltage.
Wie entscheiden?
Einerseits ist es absolut verständlich, wenn Du es nicht so cool findest, Dich regelmäßig zu spritzen. Andererseits liegt auf der Hand: Kleine innere Blutungen schaden der Gesundheit und können zu körperlichen Beeinträchtigungen führen. Wie also entscheiden?
Statistiken und Studienergebnisse sprechen eindeutig für eine Prophylaxe. Doch es geht um Dein Leben und Du musst die Entscheidungen für Dich treffen. Eine sinnvolle Möglichkeit ist, die Prophylaxe einfach einmal zu testen. Dafür legst Du in Absprache mit dem Arzt einen bestimmten Zeitraum fest und ziehst danach ehrlich Bilanz: Wie hast Du die Behandlung wahrgenommen? Was sagen Deine Eltern oder enge Freunde zu Deiner Therapie? Und was rät Dir Dein Arzt? Auf der Basis Deiner Erfahrungen sowie der Beobachtungen von anderen kannst Du eine fundierte Entscheidung treffen.
Der Umgang mit Spritze & Co.
Egal ob On Demand oder als Prophylaxe: Anfangs ist das Handling von Spritze und Hilfsmitteln immer ungewohnt. Doch mit der Zeit spritzt Du Dich ganz routiniert . Willkommener Nebeneffekt ist dabei sicher, dass Dein Alltag selbstbestimmter wird. Manch einen befreit das Selbstspritzen zudem aus der unbeabsichtigten Überbetreuung in der Familie sowie den damit verbundenen Abhängigkeiten und Nervereien.
Mit etwas Übung und Erfahrung ist das Spritzen leichter. Trotzdem mag bei dem einen oder anderen ein gewisser innerer Widerstand nicht verschwinden. Denn beim Aufbereiten des Medikaments oder bei der Platzierung der Spritze werden sich viele ihrer Hämophilie besonders bewusst: Die Erkrankung wird sichtbar, greifbar und damit manchmal zum Problem. Die Blockade beim Spritzen hat nichts mit handwerklichem Geschick zu tun, sondern sitzt allein im Kopf.
Fast jeder Hämophilie-Patient hadert mindestens einmal in seinem Leben mit seinem Schicksal, das ist ganz normal. Professionelle Hilfe und unaufdringliche Unterstützung bieten Hämophilie-Zentren. Du brauchst keine Hemmungen haben, dort über Deine Spritzblockade oder andere negative Gefühle zu sprechen – die Zentren sind bestens vertraut mit dieser Problematik. Genauso gut kann es Dir helfen, wenn Du Deine Gedanken mit einem Familienmitglied, einem guten Freund oder in einem Internet-Blog teilst. Wichtig ist nur, dass Du Dich dabei wohl und angenommen fühlst. Mit der Zeit wird Dein Groll wieder verfliegen – dann mault Deine Clique zu Recht, dass Du Dich so lange nicht hast blicken lassen. Und irgendwann ist plötzlich auch die Faktorinjektion kein Thema mehr. Versprochen.