Formen der Hämophilie
Schweregrad der Hämophilie
Hämophilie gilt nach wie vor als unheilbar. Trotz großer medizinischer Fortschritte ist die Erkrankung noch immer mit erheblichen Beeinträchtigungen für die Patienten verbunden.
Ein gesunder Mensch hat ca. 100 % Blutgerinnungsfaktor-Aktivität. Je nach Restaktivität der Gerinnungsfaktoren wird Hämophilie in die Schweregrade mild, mittelschwer und schwer unterteilt.
Prozent der normalen Gerinnungsfaktor-Restaktivität*
- Leichte Hämophilie: mehr als 5 %
- Mittelschwere Hämophilie: 1 % bis 5 %
- Schwere Hämophilie: weniger als 1 %
* Die Restaktivität gibt an, wie groß im Verhältnis zum gesunden Menschen (100 %) die Aktivität des entsprechenden Faktors ohne vorherige Gabe eines Faktorpräparates (Substitution) ist.
Hämophilie tritt in verschiedenen Formen auf. Man unterscheidet zwischen vererbter und erworbener Hämophilie, den verschiedenen Schweregraden sowie den beiden Hauptformen Hämophilie A und Hämophilie B.
Hämophilie A/B
Die im Blut vorhandenen Faktoren werden überwiegend durch den Zusatz römischer Zahlen sortiert. Der für die Hämophilie typische Mangel betrifft den Faktor VIII (8) oder den Faktor IX (9). Man spricht hier auch von Hämophilie A (Faktor-VIII-Mangel) und Hämophilie B (Faktor-IX-Mangel). Die beiden Hämophilie-Varianten zeigen unterschiedliche Ausprägungen. An Hämophilie erkranken fast ausschließlich Männer. Das liegt an der Art, wie die Erkrankung vererbt wird.
Die Hämophilie A kommt weitaus häufiger vor (ca. 85 % aller Hämophilen haben einen Faktor-VIII-Mangel). Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden weltweit mehr als 400.000 Menschen an Hämophilie A.
Von-Willebrand-Syndrom
Was ist das von–Willebrand–Syndrom?
Das von-Willebrand-Syndrom (vW-Syndrom) tritt bei 1% der Bevölkerung in unterschiedlicher Stärke auf und ist somit die häufigste Blutgerinnungsstörung. Die Patienten leiden unter einem Mangel an von Willebrand Faktor (vW-Faktor) und/oder ihr vW-Faktor funktioniert nicht richtig. Der vW-Faktor ist ein grosses Eiweiss-Molekül, das hauptsächlich im Blut zirkuliert. Bei Verletzungen der Blutgefässwand stellt der vW-Faktor die Verbindung zwischen der betroffenen Stelle und den Blutplättchen her und ermöglicht dadurch die Blutgerinnung zum Verschluss der Verletzung. Als weitere wichtige Funktion transportiert der vW-Faktor auch den Gerinnungsfaktor VIII im Blut, damit dieser nicht zu schnell abgebaut wird.
Verschiedene Typen des vW-Syndroms
Generell unterscheidet man drei übergeordnete Formen des vW-Syndroms (Typ 1, 2 und 3). Mit ca. 70% der Betroffenen ist Typ 1 am häufigsten und äussert sich durch eine verringerte Produktion von normal funktionierendem vW-Faktor. Bei der schwerwiegendsten Form, dem Typ 3, fehlt der vW-Faktor vollständig, was nur bei etwa 1% der Patienten der Fall ist. Bei beiden Typen kann eine Gefässverletzung nicht wirksam verschlossen werden, da nicht genug vW-Faktor vorhanden ist. Ein vW-Syndrom vom Typ 2 wird bei rund 30% der Betroffenen festgestellt und geht auf eine Funktionsstörung des vW-Faktors zurück. Dadurch wird bei einer Gefässverletzung die Bildung eines Blutgerinnsels erschwert, obwohl eigentlich genügend vW-Faktor vorhanden wäre.
Spontan erworbene Hämophilie
Ähnlich wie bei der klassischen Hämophilie handelt es sich hierbei um eine Gerinnungsstörung des Blutes, wodurch sich die Wunde nicht vollständig bzw. nicht schnell genug verschließt. Der Grund: Im Blut wird ein Gerinnungsfaktor durch körpereigene Antikörper blockiert. Die spontan erworbene Hämophilie unterscheidet sich von der klassischen Hämophilie im Wesentlichen dadurch, dass sie bei zuvor gesunden Patienten auftreten kann. Sie wird also nicht vererbt, sondern kann mit einer Schwangerschaft, mit Autoimmun- oder Krebserkrankungen sowie mit der Einnahme bestimmter Medikamente in Zusammenhang stehen. Frauen können ebenso betroffen sein wie Männer.
Die Inzidenz dieser Erkrankung liegt pro Million Einwohner bei ca. 1 bis 4 Neuerkrankungen im Jahr. Sie ist somit noch seltener als bspw. die Hämophilie A mit einem Patienten je 10.000 Einwohner.
Sowohl für die akute Blutungssituation als auch zur Eliminierung der ursächlichen Antiköper gibt es inzwischen geeignete Therapien. Diese müssen sorgfältig auf die zugrunde liegende Begleiterkrankung und Symptomatik abgestimmt werden (mehr zur erworbenen Hämophilie).
Hemmkörper-Hämophilie
Die Bildung von Antikörpern gegen die therapeutischen Gerinnungsfaktoren gilt heutzutage als wichtigste Komplikation in der Hämophilie-Behandlung. Denn die Antikörper (auch Hemmkörper oder Inhibitoren genannt) neutralisieren die Gerinnungsfaktoren. Dadurch schwindet der Blutungsschutz und akute Blutungen sind wesentlich schwerer zu stoppen. Man spricht in diesen Fällen von einer Hemmkörper-Hämophilie.
Eine gängige Behandlungsmethode bei der Hemmkörper-Hämophilie ist die Immuntoleranz-Induktion. Ihr Ziel ist es, das Immunsystem an die Gegenwart der Gerinnungsfaktoren zu gewöhnen, damit es keine Antikörper mehr produziert. Dies lässt sich durch die regelmäßige Gabe besonders hoher Dosen des therapeutischen Faktors erreichen. Um den Schutz vor Blutungen auch bei hohen Hemmkörper-Konzentrationen zu garantieren, kann gleichzeitig ein Bypassing-Präparat verabreicht werden, etwa der rekombinante Faktor VII (rFVIIa) oder aktiviertes Prothrombinkomplexkonzentrat (aPCC). Bypassing-Präparate umgehen jene Schritte in der Gerinnungskaskade, in denen die Faktoren VIII oder IX eine Rolle spielen. Mit ihrer Hilfe kann das Blut auch dann gerinnen, wenn ein Gerinnungsfaktor durch Antikörper neutralisiert ist. Eine neue Therapiemöglichkeit ist auch ein monoklonaler Antikörper, der die Funktion von Faktor VIII nachahmt, aber nicht von Hemmkörpern erfasst wird.
In der Regel werden Hämophilie-Patienten alle 6 bis 12 Monate auf die Entwicklung von Hemmkörpern getestet (mehr zum Thema Hemmkörper im Wissensarchiv).